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Stellungnahme Mindestlohn

Arbeit

SoVD-Stellungnahme im Rahmen der schriftlichen Anhörung der Mindestlohnkommission zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns

1 Ziel der Stellungnahme

Bis zum 30. Juni 2023 wird die Mindestlohnkommission über die Anpassung der Höhe des gesetzlichen Mindestlohns beraten, eine neue Höhe vorschlagen und anschließend der Bundesregierung ihren vierten Bericht über die Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns vorlegen. Im Rahmen der schriftlichen Anhörung hat der SoVD die Gelegenheit, seine Position zum Mindestlohn darzulegen und auf folgende Fragestellungen einzugehen:

  • Was ist eine angemessene Höhe des Mindestlohns?

  • Welche Auswirkungen hat der gesetzliche Mindestlohn?

  • Sind Kontrolle und Durchsetzung des Mindestlohns ausreichend?

Der SoVD setzt sich für einen armutsfesten Mindestlohn ein. Dieser ist die Grundlage für gesellschaftliche Teilhabe, eine gesunde Lebensweise und eine auskömmliche Rente.

2 Gesamtbewertung

Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1.1.2015 war ein sozialpolitischer Meilenstein. Der Niedriglohnsektor in Deutschland ist seitdem kleiner geworden, gehört im europäischen Vergleich aber immer noch zu den größten: Laut dem Statistischen Bundesamt lag im April 2022 die Niedriglohngrenze bei einem Bruttoverdienst von 12,50 Euro pro Stunde. Dabei habe fast jede*r fünfte Beschäftigte*r weniger als 12,50 Euro pro Stunde erhalten und damit zu einem Niedriglohn gearbeitet.

Seit der Einführung des Mindestlohns hat ihn die Mindestlohnkommission in regelmäßigen Abständen angepasst. Zuletzt gab es zum 1. Oktober 2022 eine gesetzliche – politisch festgelegte – Anpassung des Mindestlohns von damals 10,45 Euro auf 12 Euro pro Stunde. Damit gab es für ca. 6,2 Millionen Beschäftigte eine Lohnanpassung um über 14 Prozent. Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Erhöhung des Mindestlohns kam zur richtigen Zeit. Denn die Inflation und Energiepreiskrise haben viele Menschen hart getroffen, insbesondere die einkommensschwächeren Haushalte. Das belegen zahlreiche Studien. Der Inflationsmonitor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat jüngst erneut belegt, dass vor allem Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen höhere Inflationsbelastungen tragen. „Familien sowie Alleinlebende mit niedrigen Einkommen hatten im Januar [2023] mit jeweils 10 Prozent die höchste Inflationsbelastung zu tragen, Allein-lebende mit sehr hohen Einkommen mit 7,4 Prozent die mit Abstand niedrigste.“ Die durchschnittliche Teuerungsrate lag im Januar 2023 bei 8,7 Prozent.

Im SoVD haben wir schon vor den inflationsbedingten Kaufkraftverlusten der vergangenen Jahre einen armutsfesten Mindestlohn in Höhe von 13 Euro gefordert. Aus diesem Grund und aufgrund der enormen Preissteigerungen durch die Energiekrise war es aus unserer Sicht richtig, den Mindestlohn abweichend vom üblichen Verfahren in der Mindestlohnkommission politisch auf zumindest 12 Euro anzuheben. Denn das hat vielen Menschen in der derzeitigen Situation konkret geholfen. Ohne diese politische Entscheidung würde der Mindestlohn vermutlich darunterliegen. Genauso richtig ist es jedoch, dass jetzt wieder die Mindestlohnkommission über die Höhe des Mindestlohns bestimmt. Dabei muss sie sich aus unserer Sicht als absolute Untergrenze an 60 Prozent des Medianeinkommens orientieren und auch die Inflation in den Blick nehmen. Ausgehend davon, dass wir als SoVD bereits seit Langem einen Mindestlohn von 13 Euro pro Stunde fordern, müsste dieser zum Ausgleich der enormen Preissteigerungen auf mindestens 14,13 Euro angehoben werden.

Darüber hinaus sind zwingend Verbesserungen bei der Durchsetzung und Kontrolle des Mindestlohns notwendig. Hier fällt besonders auf, dass die Minijobs ein Einfallstor für die Umgehung des Mindestlohns sind. Sie gehören nicht nur aus diesem Grund endlich in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt. 

3 Zu den einzelnen Regelungen

Höhe des Mindestlohns

Der SoVD hat sich in der Vergangenheit regelmäßig für einen armutsfesten Mindestlohn in Höhe von 13 Euro ausgesprochen. Dies war schon vor der hohen Inflation mit Blick auf abgeleitete Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld oder auch das Kurzarbeitergeld sowie die gesetzliche Rente erforderlich, um ein armutsfestes Einkommen bzw. eine armutsfeste Rente zu erhalten. Voraussetzung ist jedoch, dass zuvor in Vollzeit gearbeitet wurde bzw. für die Rente 45 Jahre in Vollzeit. 10,45 Euro bzw. 12 Euro pro Stunde reichen dafür nicht aus. Hinzu kommt, dass fast jede*r dritte Beschäftigte in Teilzeit arbeitet, bei den Frauen ist es sogar fast jede Zweite, bei den Männern jeder Zehnte. Auch erreichen die wenigsten Beschäftigten 45 Beschäftigungsjahre für die Rente.

Zum 31. Dezember 2021 lag das Brutto-Medianeinkommen laut der Bundesagentur für Arbeit bei 3.516 Euro im Monat. Umgerechnet auf 60 Prozent des Stundenlohns (39-Stundenwoche und angelehnt an das, was die EU-Mindestlohnrichtlinie vorsieht), ergibt sich ein Wert von 12,48 Euro pro Stunde. Das heißt, dass der Mindestlohn von 12 Euro zum einen nicht den 60 Prozent des Medianeinkommens entspricht und aus Sicht des SoVD eben auch nicht armutsfest ist. Die hohe Inflation hat dies noch verschärft.
Nehmen wir daher die 13 Euro Mindestlohn als Maßstab für eine angemessene Höhe vor der Inflation an, so müsste der Mindestlohn zum Ausgleich der Inflation um 8,76 bzw. 10 Prozent steigen. Daraus ergäbe sich ein neuer Wert von 14,13 Euro bzw. 14,30 Euro. Weniger als 12,48 Euro dürfen es in keinem Fall sein. Denkbar ist, dass der Mindestlohn schrittweise auf diesen Wert angehoben wird.

Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns


Mit der Einführung des Mindestlohns von damals 8,50 Euro und nun auch wieder bei der Anhebung auf 12 Euro, wurden und werden insbesondere von Arbeitgeberseite Befürchtungen geäußert, dass dies mit enormen Arbeitsplatzverlusten einherginge. Die Praxis widerspricht dem. Das belegen zusätzlich zahlreiche Untersuchungen und Studien. So hat nicht zuletzt für die Anhebung auf 12 Euro eine Simulationsstudie aus dem Jahr 2020 gezeigt, dass für Mindestlöhne bis zu 12 Euro die Beschäftigungseffekte eher klein ausfallen würden und daher von einer Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro kein nennenswerter Rückgang der Beschäftigung zu erwarten sei.

Ziel des Mindestlohns ist es darüber hinaus, Armut zu vermeiden. Eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hat ergeben, dass auch unter der Annahme von negativen Beschäftigungseffekten die Armutsrisikoquote bei einem Mindestlohn von 12 Euro sinken würde. Auch würde sich das Haushalts-nettoeinkommen trotz sinkender Transferzahlungen (z.B. Grundsicherung oder Wohngeld) und steigender Einkommensteuer und Sozialbeiträgen erhöhen. Das ist aus Sicht des SoVD letztendlich das, worauf es ankommt: Der Mindestlohn muss armutsfest sein. Er muss Teilhabe ermöglichen und am Ende des Erwerbslebens zu einer Rente führen, die über dem Grundsicherungsniveau liegt.

Darüber hinaus ergeben Untersuchungen, dass sich durch die Einführung und die regelmäßige Anpassung des Mindestlohns Lohnsteigerungen in den gesamten unteren Lohngruppen ergeben haben. Es gibt darüber hinaus vor allem positive Effekte in Ostdeutschland und auf die Entgeltlücke von Männern und Frauen, die durch die Einführung des Mindestlohns abgenommen hat.

Des Weiteren bestätigt eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen niedriger Entlohnung und niedrigem Haushaltseinkommen gibt. Es ist also nicht nur der Hinzuverdienst der berühmten Zahnarztgattin, um den es hier geht, sondern es geht beim Mindestlohn nicht selten um einen wesentlichen Teil des Haushaltseinkommens. Umso wichtiger ist es, dass der Mindestlohn regelmäßig durch die Mindestlohnkommission angepasst wird und auch unter aktuellen Entwicklungen – wie beispielsweise die derzeitige hohe Inflation – armutsfest bleibt. Dafür sollte der zweijährige Turnus der Anpassung des Mindestlohns durch die Mindestlohnkommission auf ein Jahr verkürzt werden. Damit könnte schneller auf die Inflation reagiert werden und die Politik wäre nicht gezwungen, immer wieder per Gesetz zwischenzeitlich einzugreifen.

Durchsetzung und Kontrolle des Mindestlohns

Die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns ist das eine; die Frage, ob dieser auch tatsächlich bei den Menschen ankommt, das andere. Das DIW geht von 2,4 Millionen Beschäftigten aus, die den gesetzlichen Mindestlohn nicht erhalten, obwohl er ihnen zusteht. Daher ist es unentbehrlich, dass die Einhaltung des Mindestlohns stärker kontrolliert wird. Das ist im Interesse der Armutsvermeidung, aber auch im Interesse der Einnahmeverbesserung für die Sozialversicherungssysteme und die Steuer.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) geht in einer Berechnung davon aus, dass seit der Mindestlohneinführung 2015 und den Berechnungen im Jahr 2020 8,1 Milliarden Euro den Sozialversicherungen verloren gegangen sind, 2,5 Milliarden Euro weniger an Einkommenssteuer eingenommen und den Beschäftigten 14,5 Milliarden Euro Nettoeinkommen vorenthalten wurde. Das darf nicht länger hingenommen werden.
Für eine bessere Einhaltung des Mindestlohns ist eine fälschungssichere Arbeitszeiterfassung notwendig. Diese muss am besten digital und unmittelbar erfolgen.

Das heißt: Direkt, wenn die Arbeit gemacht wird, muss die Arbeitszeit erfasst werden. Hinzu kommt, dass der Zoll die Einhaltung des Mindestlohns verstärkt kontrollieren muss und dafür personell in ausreichender Zahl und Qualität ausgestattet sein muss.
Es ist bekannt, dass unter anderem Minijobs die Umgehung des Mindestlohns begünstigen. Der SoVD kritisiert nicht nur aus diesem Grund die Minijobs schon seit Langem und fordert die Umwandlung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. An dieser Forderung ändert sich auch mit der neuen gesetzlichen Grundlage – dynamische Anpassung der Geringfügigkeitsgrenze an die Höhe des Mindestlohns – nichts. Ganz im Gegenteil, das verfestigt nur diese Form der Beschäftigung und schadet damit den vielen Frauen und Männern, die gerne mehr arbeiten und besser verdienen würden.

Berlin, 09. März 2023
DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik