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Stellungnahme: Einführung einer Kindergrundsicherung

Grundsicherung Armut

Referentenentwurf zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung weiterer Bestimmungen: Verbändebeteiligung

Zusammenfassung des Gesetzentwurfs

Mit vorliegendem Referentenentwurf zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung weiterer Bestimmungen wird geregelt, dass die künftige Kindergrundsicherung aus folgenden wesentlichen Elementen bestehen soll:

Mit vorliegendem Referentenentwurf zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung weiterer Bestimmungen wird geregelt, dass die künftige Kindergrundsicherung aus folgenden wesentlichen Elementen bestehen wird:

  • Dem „Kindergarantiebetrag“ analog zum aktuellen Kindergeld
  • Dem Kinderzusatzbetrag, der sich zusammensetzt aus
    • Den altersgestaffelten Regelbedarfen nach SGB XII
    • Einen pauschalierten monatlichen Bedarf des Kindes für Unterkunft und Heizung
  • und Leistungen für Bildung und Teilhabe.

Die Bundesagentur für Arbeit, konkret der künftige „Familienservice“, soll den Großteil der Kindergrundsicherung administrieren. Beim Bildungs- und Teilhabepaket bleiben neben dem Familienservice für einzelne Leistungen auch die Länder zuständig.

Die Bewilligung über den Kinderzusatzbetrag erfolgt abschließend für einen Zeitraum von sechs Monaten ab Antragsstellung, die Leistungshöhe wird also im Nachgang nicht mehr angepasst, wenn sich Einkommensverhältnisse verändern. Sollte in dieser Zeit der Bedarf durch die Kindergrundsicherung nicht abgedeckt werden können oder auch Mehr- und Sonderbedarfe in Betracht kommen, kann auch das Jobcenter oder das Sozialamt zuständig sein, wenn Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII in Anspruch genommen werden.

Die Anspruchsinhaberschaft liegt beim Kinderzusatzbetrag beim Kind und beim Kindergarantiebetrag bei den Eltern. Bei Volljährigkeit kann der Auszahlungsanspruch beim Kindergarantiebetrag aber von den Eltern auf das Kind übergehen. Kindergarantie- und Kinderzusatzbetrag können unter bestimmten Voraussetzungen bis zum 25. Lebensjahr bezogen werden.

Mit dem Kindergrundsicherungscheck sollen künftig Behörden vorab prüfen und darauf hinweisen können, ob ggf. ein Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag bestehen könnte. Dafür müssen die Mitglieder der Familiengemeinschaft einwilligen, dass die Behörde einen Datenabruf vornimmt, um etwa Entgeltnachweise zu erhalten. Die erhobenen Daten werden jedoch im weiteren Antragsverfahren nicht weiter berücksichtigt, das heißt, auch wenn der Behörde schon Einkommensdaten vorliegen, dürfen diese nicht bei der Prüfung des tatsächlichen Antrags auf den Kinderzusatzbetrag verwendet werden.

Für das Vorhaben sollen laut Referentenentwurf rund 2,4 Milliarden Euro für 2025 bereitgestellt gestellt werden. Davon entfallen fast ein Viertel der Kosten auf die Verwaltung. 1,88 Milliarden Euro werden etwa für eine höhere Inanspruchnahme im Rahmen der Kindergrundsicherung veranschlagt, sind also auf der Leistungsseite zu verbuchen.

Gesamtbewertung SoVD

Auf den ersten drei Seiten des Koalitionsvertrages haben SPD, Grüne und FDP in der Präambel die Einführung einer Kindergrundsicherung zur eigenen Priorität gemacht und das Ziel erklärt, „mehr Kinder aus der Armut [zu] holen“. Man wolle verschiedene Leistungen bündeln, nämlich das Kindergeld, Leistungen aus SGB II/XII für Kinder, Teile des Bildungs- und Teilhabepakets sowie den Kinderzuschlag. Die Kindergrundsicherung solle vor allem eine einfache und automatisierte Leistung werden, sowohl bei der Berechnung als auch bei der Auszahlung, und bürokratische Hürden sollen abgebaut werden. Außerdem hat sich die Koalition darauf geeinigt, das kindliche soziokulturelle Existenzminimum neu zu berechnen.

Die Verabredungen im Koalitionsvertrag waren ambitioniert und die Erwartungen in der Zivilgesellschaft hoch. Anfang 2023 wurde ein Eckpunktepapier zur Kindergrundsicherung aus dem federführenden Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend bekannt, das der SoVD durchaus positiv bewertete. Aber sehr schnell entfachte sich ein öffentlich ausgetragener Streit innerhalb der Koalition um die Kosten dieser sozialpolitischen Reform.

Der vorliegende Referentenentwurf ist Ergebnis dieses Aushandlungsprozesses. Als SoVD begrüßen wir, dass nach monatelangem Ringen um die Kindergrundsicherung eine Einigung gefunden wurde. Vom Ergebnis sind wir dennoch enttäuscht. Wir hatten uns weit mehr versprochen als eine reine Grundsteinlegung für eine Kindergrundsicherung der Zukunft, die mit Ausnahme der beabsichtigten – aus unserer Sicht kritisch zu bewertenden - Einführung eines Kinderchancenportals ab 1. Januar 2029 auch keine weiteren konkreten Schritte beinhaltet, wie der weitere Ausbau hin zu einer armutsfesten echten Kindergrundsicherung künftig gelingen kann.

Die veranschlagten Verwaltungskosten in Höhe von 0,5 Milliarden Euro stehen in einem schlechten Verhältnis zu den verbleibenden 1,88 Milliarden Euro, mit denen etwa die Mehrkosten ausgeglichen werden sollen, die durch eine höhere Inanspruchnahme der Kindergrundsicherung entstehen.

Unsere Erwartungen an die Kindergrundsicherung waren:

  1. Sie bekämpft Kinderarmut effektiv.
  2. Sie stellt Chancengerechtigkeit her.
  3. Sie bündelt umfangreich Leistungen.
  4. Sie wird von einer zentralen Stelle vollständig administriert und die Auszahlung erfolgt möglichst automatisiert.

Kinderarmutsbekämpfung

Aus dem Referentenentwurf geht hervor, dass bei der Berechnung des kindlichen Existenzminimums bei den Verbrauchsausgaben der Familienhaushalte, die die Grundlage für die Bemessung der kindlichen Regelbedarfe bilden, in den Abteilungen 4 (Wohnungsmiete, Energie und Wohnungsinstandhaltung) und 5 (Haushaltsgeräte) Änderungen vorgenommen werden sollen – nämlich bei der Anpassung der Verteilerschlüssel. Mit den Verteilerschlüsseln wird die Art und Weise bestimmt, welchem Haushaltsmitglied welcher Anteil z.B. bei einem Neukauf einer Waschmaschine in den Regelsätzen zugeschrieben wird. Wir hatten uns bei der angekündigten Neudefinition des kindlichen Existenzminimums weit mehr versprochen: Mit der Anpassung der Verteilerschlüssel in einzelnen Abteilungen kann allenfalls der Wegfall des Sofortzuschlags in Höhe von 20 Euro ausglichen werden. Generelle Leistungsverbesserungen über den Ausgleich der wegfallenden 20 Euro hinaus sind nicht vorgesehen. Der Kinderzusatzbetrag der Kindergrundsicherung bleibt entsprechend niedrig. Kinder in armutsbetroffenen Familien mit wenig oder gar keinem Einkommen bleiben im Leistungsbezug also auch weiterhin arm.

Es ist allerdings vorgesehen, dass das Einkommen des Kindes und der Eltern, welches sie nicht zu ihrer eigenen Absicherung benötigen, künftig nur noch zu 45 Prozent auf die Leistungen des Zusatzbetrages des Kindes angerechnet werden dürfen (im Bürgergeld werden aktuell 80 bis 100 Prozent angerechnet). Das gilt auch für Unterhaltsleistungen (sofern sie 500 Euro nicht übersteigen) und den Unterhaltsvorschuss. Davon profitieren also vor allem erwerbstätige Eltern und insbesondere auch Alleinerziehende, denn für sie kann die neue Kindergrundsicherung eine tatsächliche Verbesserung ihrer finanziellen Lage bedeuten – allerdings nur wenn sichergestellt ist, dass in allen Rechtskreisen künftig gilt, dass das Kindergeld nur bei dem Kind angerechnet werden darf, für das die Leistung gezahlt wird.

Chancengerechtigkeit

Unsere Erwartung ist, dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert sein muss. Für mehr Chancengerechtigkeit, die auch Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen besserstellt, hätte der Garantiebetrag so hoch ausfallen müssen, wie die maximale Entlastung aus dem steuerlichen Kinderfreibetrag, also aktuell 354 Euro. Aktuell profitieren vom Kinderfreibetrag nämlich nur Familien mit sehr hohen Einkommen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Familien, die höhere Einkommen erzielen, in Summe mit fast 100 Euro mehr entlastet werden, als Normal- oder Geringverdiener*innen-Familien.

Bündelung von Leistungen

Auch bei der Bündelung der Einzelleistungen hatten wir uns weit mehr versprochen. Die Teilhabeleistung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket soll nicht pauschal an die Familien ausgezahlt werden, sondern nur mittels eines Antrags mit Nachweispflicht. Der SoVD wird sich im weiteren Gesetzgebungsprozess dafür einsetzen, dass die pauschalierbaren Teile des Bildungs- und Teilhabepakets bei einer Anspruchsberechtigung mit der Kindergrundsicherung automatisiert und ohne Nachweispflicht ausgezahlt werden. Nicht nachvollziehbar ist, warum die Kindergrundsicherung nicht auch für Kinder gelten soll, deren Familien Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Hier muss zwingend nachgebessert werden.

Zentrale Stelle und möglichst automatisierte Auszahlung

Wir begrüßen, dass die Kindergrundsicherung überwiegend vom Familienservice der Bundesagentur für Arbeit administriert werden soll, um möglichen Stigmatisierungen vorzubeugen. Jedoch sollen Familien mit Mehr- oder Sonderbedarfen künftig auch weiterhin von den Jobcentern betreut werden.

Auch wenn der Bedarf des Kindes durch die Kindergrundsicherung wegen schwankender Einkommensverhältnisse der Eltern nicht gedeckt werden kann, werden sie weiterhin SGB II oder SGB XII-Leistungen erhalten und beantragen müssen. Beim Bildungs- und Teilhabepaket sind zu großen Teilen darüber hinaus die Länder zuständig – also eine weitere Anlaufstelle. Als ein Verband der insbesondere auch die Interessen von Familien mit Kindern mit Behinderung vertritt, ist das zwar aus behördlicher Perspektive vielleicht ein pragmatischer Weg, aber aus Betroffenensicht das völlig falsche Signal.

Denn gerade diejenigen, die besonders von einer zentralen Gesamtadministration profitieren würden, müssen sich auch künftig an eine weitere Stelle mit ihren Belangen wenden. Genau das gilt es mit der neuen Kindergrundsicherung auszuschließen, damit alle Belange, die mit der Existenzsicherung von Kindern und Jugendlichen zusammenhängen, nur noch von einer Behörde bearbeitet werden und die Familien allein zeitlich damit deutlich entlastet würden.

Mit dem Kindergrundsicherungscheck soll ein neues Instrument geschaffen werden, das insbesondere verdeckt arme Familien besser erreichen soll. Die Idee ist, dass die Behörde eine Erstprüfung vornimmt, sofern die Familie dem Datenaustausch zustimmt. Auf diese Weise würde die Behörde darauf hinweisen können, wenn ggf. ein Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag bestehen könnte.

Wir beim SoVD verkennen nicht, dass dies bei einer guten Umsetzung ein Fortschritt im Vergleich zum bestehenden System wäre. Jedoch muss auch hier eine Kosten-Nutzen-Abwägung erfolgen. Denn die Ergebnisse des Kindergrundsicherungschecks dienen nur der Beratung und haben für das weitere Antragsverfahren keinerlei Auswirkungen. Die gewonnenen Daten können also nicht berücksichtigt werden. Denkbar ist in Ergänzung auch ein Online-Rechner, den die Familien selbst nutzen können. Das wäre vor allem für Familien ein Mehrgewinn, die dem Datenzugriff nicht zustimmen wollen.

Für den SoVD gehört die Stärkung der sozialen Infrastruktur unweigerlich zu einer guten Kindergrundsicherung dazu. Denn nur wer sein Kind gut betreut und gefördert weiß – und zwar im Ganztag, kann überhaupt erwerbstätig sein. Zwar ist im Einigungspapier der Koalitionäre festgehalten, dass das Gute-Kita-Gesetz in ein Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards überführt und die finanzielle Unterstützung des Bundes über 2024 hinaus fortgesetzt werden soll, aber damit allein ist es nicht getan. Wir brauchen sowohl eine nachhaltige Verbesserung der Qualität als auch der Quantität der Kinderbetreuung und -förderung in Kitas und Schulen.

Nur so kann es gelingen, allen Kindern die gleichen Startchancen zu ermöglichen und gleichzeitig den Eltern zu ermöglichen, erwerbstätig zu sein. Und wir benötigen bedarfsgerechte Angebote etwa auch für Eltern, die in Schichtarbeit außerhalb der „üblichen“ Zeiten Betreuungsbedarf haben. Um den Kita-Fachkräftemangel zu beheben, brauchen wir bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Bezahlung sozialer Berufe. Nur so lässt sich neues Fachpersonal gewinnen und Fachkräfte bleiben in ihrem gelernten Beruf, kehren dahin zurück oder stocken ihre Stunden auf. Außerdem muss es langfristiges Ziel sein, den Personal-Kind-Schlüssel zu verändern. Mehr Personal auf weniger Kinder bedeutet individuelleres Eingehen auf die Entwicklung des einzelnen Kindes und somit, im Sinne der Chancengleichheit, bessere Bildung für alle.

Und nicht zuletzt brauchen wir einen armutsfesten Mindestlohn, damit Familien gar nicht erst in Notlagen geraten und von ihrem Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag gar nicht erst Gebrauch machen müssen.

Insgesamt muss der SoVD festhalten: Diese Kindergrundsicherung erfüllt nicht unsere Erwartungen an eine armutsfeste und chancengerechte Kindergrundsicherung, die es Familien leichter machen soll. Trotzdem bleibt anerkennend zu sagen, dass damit ein erster Schritt getan und ein Grundstein für eine Kindergrundsicherung der Zukunft gelegt wäre.

Zu den einzelnen Regelungen

Kindergarantiebetrag

Artikel 1 Bundeskindergrundsicherungsgesetz § 3 – 5, 9, 7, 35, 36; Artikel 3 § 74

Der Kindergarantiebetrag soll künftig das aktuell geltende Kindergeld ersetzen. Der Kindergarantiebetrag wird sich, wie aktuell das Kindergeld, an der Entwicklung der Freibeträge für Kinder des Einkommenssteuergesetzes orientieren. Die Anspruchsinhaberschaft wird bei den Eltern liegen.

Ab dem 18. Lebensjahr liegt der Auszahlungsanspruch beim volljährigen Kind, wenn dieses beim Familienservice die Auszahlung begehrt. Familien, die Kinderfreibeträge geltend machen können, weil sie über ein hohes Einkommen verfügen, erhalten den Kindergarantiebetrag nicht. Das Kindergeld kann unter bestimmten Voraussetzungen auch bis zum 25. Lebensjahr und darüber hinaus bezogen werden. Letzteres gilt, wenn aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung der eigene Lebensunterhalt nicht bestritten werden kann und die Behinderung vor dem 25. Lebensjahr eingetreten ist.

SoVD-Bewertung: Wir finden: Dem Staat sollte jedes Kind gleich viel wert sein. Derzeit erhalten Normalverdiener*innen-Familien das Kindergeld in Höhe von aktuell 250 Euro pro Monat. Erzielt eine Familie jedoch ein sehr hohes Einkommen, können Kinderfreibeträge bei der Steuer geltend gemacht werden. Die maximale Entlastung liegt dann aktuell bei 354 Euro – also insgesamt 100 Euro mehr. Diese Ungleichbehandlung ist nicht hinnehmbar. Der SoVD fordert daher, dass der Kindergarantiebetrag angehoben werden muss, nämlich auf die Höhe der maximalen Entlastungswirkung bei den Kinderfreibeträgen.

Damit würden Familien mit durchschnittlichen Einkommen, aber auch Familien, deren Eltern zu Niedriglöhnen arbeiten, von der Kindergrundsicherung deutlich profitieren, die Akzeptanz der Reform und der damit verbundenen Kosten in der Bevölkerung gesteigert und nicht zuletzt vor allem mehr Chancengerechtigkeit hergestellt. Wir begrüßen, dass der Auszahlungsanspruch bei Volljährigkeit auf das Kind übergehen kann. Das stärkt die rechtliche Position der jungen Erwachsenen, verringert womöglich familiäre Auseinandersetzungen und fördert ihre Eigenständigkeit für ein selbstbestimmtes Leben.

Menschen mit Behinderungen und hohem Unterstützungsbedarf können häufig keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und sind dauerhaft erwerbsgemindert. Häufig haben sie daher einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII. Es darf nicht dazu kommen, dass der Auszahlungsanspruch des Menschen mit Behinderung auf den Kindergarantiebetrag ab der Volljährigkeit dazu führt, dass dies bedarfsmindernd auf die Leistung der Grundsicherung nach dem SGB XII angerechnet wird. Dem Kindergeld kommt bei Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf eine große Ausgleichsfunktion zu (häufig bis ins hohe Alter des Menschen mit Behinderung), die nicht wegfallen darf.

Kinderzusatzbetrag

Artikel 1 Bundeskindergrundsicherungsgesetz § 9 – 15; Artikel 4 § 22 Absatz 1a und § 7 SGB II-neu; Artikel 7 § 30 Absatz 7 Nr. 3 und § 35 Absatz 1 SGB XII-neu

Die Anspruchsberechtigung des Kinderzusatzbetrages liegt beim Kind. Ein Anspruch besteht nur dann, wenn zumutbare Anstrengungen unternommen wurden, die Ansprüche auf Einkommen des Kindes geltend zu machen (z.B. Unterhalt, Unterhaltsvorschuss, Waisenrente, Berufsausbildungsbeihilfe etc.).

Mit dem Kinderzusatzbetrag soll das kindliche Existenzminimum sichergestellt werden. Der maximale Kinderzusatzbetrag mindert sich, wenn Einkommen und/oder (erhebliches) Vermögen vorhanden sind (dazu mehr weiter unten in „Einkommen“ und „Vermögen“).

Der Kinderzusatzbetrag kann bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres ausgezahlt werden – Voraussetzung ist, dass auch der Kindergarantiebetrag bezogen wird und das volljährige Kind noch bei seinen Eltern bzw. in der Familiengemeinschaft lebt. Ist ein Kind volljährig und nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des SGB XII leistungsberechtigt, kann kein Kinderzusatzbetrag mehr bezogen werden.

Der Kinderzusatzbetrag umfasst:

  • den (altersgestaffelten) Regelbedarf des Kindes,
  • einen pauschalierten Bedarf des Kindes für Unterkunft und Heizung in Höhe des steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimum des Kindes.

Die aktuell gültige Altersstaffelung bei den kindlichen Regelbedarfen nach dem SGB XII wird für den Kinderzusatzbetrag übernommen.

Durch die Einführung einer Wohnkostenpauschale in der Kindergrundsicherung wird die Aufteilung der anzuerkennenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung auf die Mitglieder der Bedarfs- bzw. Haushaltsgemeinschaft im SGB II und SGB XII neu geregelt (§ 22 Absatz 1a und 7 SGB II-neu sowie § 30 Absatz 7 Nr. 3 und § 35 Absatz 1 SGB XII-neu). Die verbleibenden Kosten der anerkannten Aufwendungen des Gesamthaushalts werden entweder bei dem alleinerziehenden Elternteil voll oder bei den Eltern jeweils zur Hälfte anerkannt. § 22 Absatz 7 regelt außerdem, dass das Amt auch weiterhin die vollständige Miete an den*die Vermieter*in direkt überweisen kann (inklusive Wohnkostenpauschale, die im Rahmen der Kindergrundsicherung gewährt wird). Die Regel-sätze werden dann entsprechend (um die im Rahmen der Kindergrundsicherung bereits ausgezahlten Wohnkostenpauschale pro Kind) gemindert.

SoVD-Bewertung: Die Mindesteinkommensgrenze, wie sie aktuell beim Kinderzuschlag aktuell gilt, soll künftig entfallen, damit auch Kinder, deren Eltern gar kein oder ein niedriges Einkommen haben, Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag haben können. Aktuell sind das vor allem Kinder und Jugendliche, die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII erhalten. Das begrüßen wir.

Der Kinderzusatzbetrag soll also künftig verschiedene Leistungen bündeln: Nämlich den Kinderzuschlag und auch existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II und SGB XII. Kinder und Familien, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für ihre Kinder beziehen, haben jedoch keinen Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag. Aus Sicht des SoVD muss hier dringend nachgebessert werden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum diese Kinder und Familien von der künftigen Kindergrundsicherung ausgeschlossen werden sollen. Für sie kostet soziale Teilhabe und ein Leben in Deutschland genauso viel wie für alle anderen Familien in Deutschland auch.

Leben Ü-18-Jährige weiterhin in der Familiengemeinschaft und erhalten den Kindergarantiebetrag, kann auch der Kinderzusatzbetrag weiterhin bezogen werden, d.h. sie würden nicht automatisch in den SGB II-Bezug rutschen, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben. Da der Bezug von Bürgergeld-Leistungen von Betroffenen nach wie vor häufig als stigmatisierend empfunden wird, begrüßen wir das ausdrücklich. Anders verhält es sich bei 18-Jährigen, die leistungsberechtigt nach dem SGB XII sind. Denn dann sind SGB XII-Leistungen vorrangig vor der Kindergrundsicherung. Tatsächlich ist das für diesen Personenkreis eine günstigere Regelung, da sich das Einkommen der Eltern im SGB XII anders als beim Kinderzusatzbetrag nicht reduzierend auf den Leistungsanspruch auswirkt. Außerdem gilt für die Volljährigen dann Regelbedarfsstufe 1.

Dass künftig eine Wohnkostenpauschale in Höhe des steuerfrei zu stellenden sächlichen Existenzminimum des Kindes mit dem Zusatzbetrag ausgezahlt werden soll, hält der SoVD für sachgemäß. Mehrbedarfe bei überdurchschnittlichen Wohnkosten, z.B. auch bei getrenntlebenden Elternteilen, die beide ein Kinderzimmer zur Verfügung stellen, müssen jedoch künftig auch bei den Ansprüchen der Eltern geltend gemacht werden können.

Für temporäre Bedarfsgemeinschaften, also Kinder die im Wechselmodell betreut werden, wird der Kinderzusatzbetrag entsprechend der elterlichen Betreuungsanteile aufzuteilen sein – äquivalent zur aktuellen Praxis nach dem SGB XII. Die Aufteilung geht jedoch nicht mit Leistungsverbesserungen einher, die im Falle von getrenntlebenden Eltern, die sich die Betreuung teilen, aber nötig wären, um den höheren Bedarf des Kindes zu decken.

Als SoVD begrüßen wir, dass auch weiterhin sichergestellt werden soll, dass auf Wunsch der Leistungsberechtigten auch weiterhin die Bedarfe für Unterkunft und Heizung direkt an die Vermieter*in bezahlt werden können. Denn mit der Einführung der Wohnkostenpauschale in der Kindergrundsicherung würde sich in jedem Fall bei Familien ein im Vergleich zur tatsächlichen Miete verringerter Betrag für die Anerkennung des Bedarfs der in der Bedarfsgemeinschaft verbleibenden Mitglieder ergeben. Das Amt soll also weiterhin die volle Miete überweisen, sofern sie den anzuerkennenden Bedarf nicht übersteigt. Es wird neu geregelt, dass die Bürgergeld-Leistungen, die direkt an den Leistungsberechtigten gehen, um den Betrag der Wohnkostenpauschale der Kinder gemindert werden. Aus Sicht des SoVD ist es wichtig sicherzustellen, dass die Auszahlung der Kindergrundsicherungs-Leistungen und der Leistungen nach dem SGB II und SGB XII zeitlich parallel laufen, damit keine Unterdeckung der Bedarfe entsteht. Außerdem müssen die Eltern, die Leistungen nach dem SGB II und SGB XII beziehen, im Vorfeld hinreichend informiert werden, warum ihre Regelsätze künftig um den Betrag der Wohnkostenpauschale des Kindes gemindert werden.
 

Neudefinition kindliches Existenzminimums und Wegfall des Sofortzuschlags

Artikel 8 Regelbedarfsermittlungsgesetz; Artikel 4, SGB II § 72; SGB XII § 145

Das Regelbedarfsermittlungsgesetz soll angepasst werden. Aus dem Referentenentwurf geht hervor, dass in den Abteilungen 4 „Wohnungsmieten, Energie und Wohnungsinstandhaltung“ und 5 „Innenausstattung, Haushaltsgeräte und – gegenstände, laufende Haushaltsführung“ Modifikationen vorgenommen werden sollen. Konkrete Zahlen werden noch nicht genannt.

Artikel 4 regelt in § 72 SGB II-neu und § 145 SGB XII-neu den Wegfall des Sofortzuschlags, der mit Einführung der Kindergrundsicherung entfallen soll.

SoVD-Bewertung: Der Sofortzuschlag für Kinder und Jugendliche in der Grundsicherung wurde eingeführt, um Leistungsverbesserungen bis zur Einführung der neuen Kindergrundsicherung kurzfristig zu schaffen. Die Abschaffung des Sofortzuschlags wäre folgerichtig, wenn das kindliche Existenzminimum tatsächlich grundsätzlich neu definiert würde. Nun sollen jedoch nur geringfügige Modifizierungen in der Berechnungsweise der Regelbedarfe vollzogen werden, um den Wegfall des Sofortzuschlags auszugleichen. Die seinerzeit politisch gesetzten 20 Euro mehr pro Kind pro Monat in der Grundsicherung werden nun als Maßstab dessen genutzt, wie hoch der künftige Kinderzusatzbetrag ausfallen soll. Grundsätzliche Leistungsverbesserungen sind also nicht vorgesehen.

Das heißt konkret: Abgesehen von Familien, die aktuell in verdeckter Armut leben, weil sie bestimmte Leistungen nicht abrufen, und perspektivisch von der neuen Kindergrundsicherung besser erreicht werden, bleibt es für den Großteil der Familien beim Ist-Zustand. Das gilt auch für Alleinerziehende, wenn die Kindergeld-Anrechnung bei den Bedarfen der Eltern nicht in allen Rechtskreisen abgeschafft wird (mehr dazu bei „Kindergeld-Übertrag). Arme Familien bleiben arm. Die Kindergrundsicherung ist damit nicht in der Lage Kinderarmut effektiv zu bekämpfen.

Aus Sicht des SoVD muss ein „echte“ Neudefinition des kindlichen Existenzminimums sehr viel weiter reichen, als die konsentierten Modifikationen. Die Grundlage für die Bestimmung der Regelbedarfe bilden die sogenannten Referenzhaushalte der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Nun soll die Art und Weise angepasst werden, wie bestimmte Ausgaben der Referenzhaushalte auf die einzelnen Haushaltsmitglieder verteilt werden. Die sogenannten Verteilerschlüssel wurden seit 20 Jahren nicht mehr überarbeitet. Das soll in den Abteilungen 4 und 5 geändert werden.

Das heißt für die Abteilung 5 z.B. konkret, dass der kindliche Anteil an den Anschaffungskosten für eine Waschmaschine im Haushalt stärker berücksichtigt werden soll, weil Familien mit Kindern einen höheren Verbrauch / Verschleiß haben, als Alleinstehende oder Paarhaushalte. Das ist aus Sicht des SoVD zwar begrüßenswert, aber es ergeben sich zwei grundlegenden Probleme: Von der Anpassung dieser Verteilerschlüssel haben Kinder, die Asylbewerberleistungen erhalten, nichts, da ihnen nur ein geminderter Regelbedarf zur Verfügung steht und die Ausgaben aus diesen Abteilungen gar nicht als nicht regelbedarfsrelevant nach dem AsylbLG anerkannt werden. Sie erhalten also weder die Kindergrundsicherung, noch profitieren sie von der Anpassung bei den Regelbedarfen. Und ganz grundsätzlich kann man bei einer Anpassung der Verteilerschlüssel in einzelnen Abteilungen nicht von einer grundsätzlichen Neudefinition des kindlichen Existenzminimums sprechen. Die Überarbeitung der Verteilerschlüssel hätte über alle Abteilungen hinweg systematisch erfolgen müssen und darüber hinaus wären auch weitere Schritte erforderlich:

Für eine echte Neudefinition wäre eine stärkere Orientierung an der Mitte der Gesellschaft nötig gewesen. Das heißt konkret, die Referenzhaushalte in der EVS hätten neu bestimmt werden müssen. Aktuell bilden Familienhaushalte mit einem Kind im unteren Einkommensbereich (untere 20 Prozent) die Grundlage für die Bestimmung der kindlichen Regelbedarfe. Damit werden bei den kindlichen Bedarfen die Ausgaben von Familien in prekären Lagen abgebildet. Auch verdeckt arme Familien (keine Leistungsinanspruchnahme trotz Leistungsanspruch) und Aufstocker*innen-Haushalte, also Familien, die trotz Erwerbstätigkeit auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind, bilden u.a. die Referenzgruppe. Ein weiteres Problem sind die mitunter extrem niedrigen Fallzahlen, auf Grundlage derer, die kindlichen Bedarfe für alle Kinder in der Grundsicherung berechnet werden.

Aus Sicht des SoVD wäre besonders vordringlich gewesen, die politischen Streichungen, die im zweiten Schritt nach der statistischen Erfassung der Verbrauchsausgaben der Referenzhaushalte von der Bundesregierung vorgenommen werden, endlich zurückzunehmen. Denn sie mindern die Regelbedarfe der Kinder bedeutend. Berechnungen der Diakonie zufolge, mindert dies die Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche im Schnitt um ca. 83 Euro. Außerdem sind Kinder und Jugendliche bei der Ermittlung der Regelbedarfe grundsätzlich zu beteiligen, etwa durch ergänzende Befragungen.
 

Einkommen

Artikel 1 Bundeskindergrundsicherungsgesetz § 2 Absatz 2, § 12, § 13, 14, 15

 In der Kindergrundsicherung wird die Einkommensdefinition aus dem SGB II übernommen. Einkommen des Kindes wird zu 45 Prozent auf den Kinderzusatzbetrag angerechnet. Das entspricht der aktuellen Regelung des Kinderzuschlags. Bei Unterhaltsleistungen gilt jedoch eine spezifische Regelung: Überschreiten die an das Kind geleisteten Unterhaltszahlungen eine Grenze von 500 Euro, wird das Einkommen zu 55 Prozent, bei mehr als 750 Euro zu 65 Prozent und bei über 1000 Euro zu 75 Prozent berücksichtigt.

Von den Eltern wird solches Einkommen beim Kind berücksichtigt, das den monatlichen Gesamtbedarf der Eltern übersteigt. Erwerbseinkünfte werden – wie im aktuellen Kinderzuschlag auch – zu 45 Prozent berücksichtigt.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt, dass bei der Einkommensberücksichtigung für den Kinderzusatzbetrag die Regelung vom aktuellen Kinderzuschlag übernommen wurde. Hiervon können z.B. Alleinerziehende profitieren, die trotz Erwerbstätigkeit aktuell auf Bürgergeldleistungen angewiesen sind. Dort gilt aktuell eine Anrechnung von Unterhaltsleistungen und Unterhaltsvorschuss von 100 Prozent. Jedoch muss die bessere Einkommensanrechnungsregelung immer an eine Neuregelung gekoppelt werden, dass überschüssiges Kindergeld – also solches, was für den Bedarf des Kindes wegen hoher Unterhaltszahlungen nicht benötigt wird – künftig nicht mehr beim Elternteil im SGB II und SGB XII angerechnet werden darf. Sonst läuft diese Anrechnungsverbesserung womöglich ins Leere.

Um den Verwaltungsaufwand möglichst gering und einfach zu halten, wäre aus Sicht des SoVD folgerichtig, bei der aktuellen Regelung nach dem Kinderzuschlag zu bleiben und mit einer Anrechnung von 45 Prozent pauschal zu rechnen. Wird an dem 3-Stufen-Modell dennoch festgehalten, dann darf das aus Sicht des SoVD nicht ohne eine dynamisierte Regelung erfolgen. Unterhaltszahlungen von 500 Euro haben bei einer Rekordinflation in sehr kurzer Zeit schon nicht mehr den gleichen Wert. Daher fordern wir eine regelmäßige Prüfung und Anpassung der drei Stufen.
 

Vermögen

Artikel 1 § 2 Absatz 3, § 12 – 15

Beim Zusatzbetrag soll nur gemäß § 12 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch solches Vermögen des Kindes und der Eltern berücksichtigt werden, das erheblich ist. Das sind aktuell 40.000 Euro für den Antragstellenden und 15.000 Euro für jede weitere Person im Haushalt. Diese Regelung beim Kinderzusatzbetrag ist äquivalent mit der Regelung des aktuell geltenden Kinderzuschlags. Übersteigt das Vermögen die zulässigen Grenzen, mindert sich der Kinderzusatzbetrag entsprechend und der Anspruch entfällt mitunter.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt, dass nur erhebliches Vermögen künftig berücksichtigt werden soll und damit die aktuelle Regelung vom Kinderzuschlag auf den Kinderzusatzbetrag übertragen wurde. Eine zeitliche Begrenzung für die Berücksichtigung von erheblichem Vermögen, wie im SGB II (Karenzzeit beträgt ein Jahr), findet damit in der Kindergrundsicherung keine Anwendung. Das begrüßt der SoVD. Sollten Kinder z.B. geerbt haben, so wäre nicht nachvollziehbar, warum ihr Vermögen aufgrund von nicht ausreichendem Einkommen für die Lebenssicherung unmittelbar verausgabt werden soll. Denn dieses Vermögen kann den Kindern aus einkommensarmen Familien zu einem späteren Zeitpunkt helfen, Chancen wahrnehmen zu können, die ihnen sonst verwehrt blieben.
 

Unterhaltsvorschuss

Artikel 2, § 1 Unterhaltsvorschussgesetz, Absatz zu Nummer 2

Unterhaltsleistungen und Unterhaltsvorschuss sollen bei der Bemessung des Kinderzusatzbetrages als Kindeseinkommen künftig zu 45 % berücksichtigt werden, wie das heute schon beim Kinderzuschlag der Fall ist. Davon können insbesondere Kinder von Alleinerziehenden profitieren, die bisher Bürgergeld erhalten, da dort bisher 100 % angerechnet werden. Bei höheren Unterhaltsleistungen sollen höhere Anrechnungen greifen, um Erwerbsanreize zu erhalten. Der Unterhaltsvorschuss wird künftig bis zum Schuleintritt ohne Mindesteinkommensgrenze gezahlt und für Schulkinder im mittleren Alter / ab Schuleintritt ab einer Mindesteinkommensgrenze von 600 Euro.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt, dass sich die Situation von Alleinerziehenden, die Bürgergeld erhalten, verbessert, wenn Unterhaltsleistungen und Unterhaltsvorschuss bei der Bemessung des Kinderzusatzbetrages grundsätzlich zu 45 Prozent wie im derzeitigen Kinderzuschlag berücksichtigt werden. Der SoVD bewertet es allerdings kritisch, dass der Unterhaltsvorschuss für Kinder ab Schuleintritt an ein Mindesteinkommen von 600 Euro des Elternteils geknüpft werden soll verbunden mit dem Argument, Erwerbsanreize setzen zu wollen.

Diese neue Regelung hält der SoVD technisch für äußert problematisch. Denn wenn eine alleinerziehende Mutter mehr als ein Kind hat, welche unterschiedlich alt sind, so wäre sie für den Erhalt des Unterhaltsvorschusses verpflichtet erwerbstätig zu sein, wenn eines ihrer Kinder im schulpflichtigen Alter ist. Das ist nicht hinnehmbar, denn eine fehlende Betreuungsmöglichkeit des kleineren Geschwisterkindes macht dann eine Erwerbstätigkeit mitunter unmöglich. Hier muss nachgebessert werden. Vor allem aber zeichnet diese Regelung ein völlig falsches und vor allem stigmatisierendes Bild von Alleinerziehenden. 90 % der Alleinerziehenden sind Frauen. Viele von ihnen befinden sich in prekären Lebenslagen. Mit 42 % tragen Alleinerziehende und ihre Kinder das höchste Armutsrisiko aller Haushaltstypen. Diese Zahl stagniert, obwohl ihre Erwerbstätigkeit steigt. Alleinerziehende Mütter sind häufiger erwerbstätig als andere Mütter und das obwohl sie umfassend Sorgearbeit leisten müssen und ihnen viel weniger zeitliche Ressourcen zur Verfügung stehen.

Elternarmut zu bekämpfen, heißt auch Kinderarmut zu bekämpfen – dahinter steht auch der SoVD voll und ganz. Aber Erwerbsanreize allein reichen dafür nicht aus. Denn um auch arbeiten zu können, müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen stimmen. Alleinerziehende kommen täglich an ihre Grenzen, Beruf, Kinder und Haushalt zu vereinbaren. Diese Vereinbarkeit muss für Alleinerziehende weiter verbessert werden. Dazu gehört zum einen ein umfassendes Rückkehrrecht auf Vollzeitarbeit für diejenigen, die wegen der Kinderbetreuung vorübergehend in Teilzeit arbeiten müssen.

Zum anderen muss die Lohnlücke von im Durchschnitt 18 % zwischen Frauen und Männern geschlossen werden. Der SoVD fordert daher eine Weiterentwicklung des Entgelttransparenzgesetzes zu einem wirkungsvollen Lohngerechtigkeitsgesetz. Darüber hinaus muss der flächendeckende und qualitative Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur von der Krippe bis zur Schule Voraussetzung sein, um einer Berufstätigkeit überhaupt nachgehen zu können. Dazu gehört der Ausbau von guter ganztägiger Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur sowie flexible und kostenlose Betreuungsangebote an den Randzeiten. Notwendig sind flexible Arbeitszeiten und Homeoffice sowie Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung. Das Ziel muss eine auskömmliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Alleinerziehenden sein (u. a. Minijobs begrenzen, Bezahlungen in typischen Frauenberufen verbessern, Mindestlohn erhöhen).

Und wenn es um darum geht Erwerbsanreize setzen zu wollen, fordern wir den Gesetzgeber auf, endlich das Ehegattensplittings für künftige Ehen abzuschaffen. Je größer der Einkommensunterschied und je höher das Einkommen, desto mehr Steuern können verheiratete Paare mit dem Ehegattensplitting sparen. Das Splitting fördert einseitig einkommensstarke Einverdiener­-Ehen unabhängig von der Kinderzahl: Die Steuervorteile führen dazu, dass sich viele Ehepaare entscheiden, dass meist die Frau ihre Erwerbstätigkeit deutlich zurückfährt – häufig in Form eines Minijobs – und stattdessen mehr Zeit mit Hausarbeit und Kinderbetreuung verbringt. Vielen Frauen fällt diese Entscheidung später auf die Füße. Ihr geringer Erwerbsumfang führt zu niedrigen eigenen Einkommen und Rentenansprüchen. Die überproportional hohe Besteuerung in der Steuerklasse V führt zu Einbußen bei der Berechnung von Lohnersatzleistungen (zum Beispiel Elterngeld, Arbeitslosengeld, Krankengeld, Kurzarbeitsgeld) auf Grundlage des Nettoeinkommens. Im Falle einer Scheidung verlangt das Unterhaltsrecht, dass beide Geschiedene umgehend ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Das Ehegattensplitting verhindert eine eigenständige Existenzsicherung von Frauen.
 

Bildungs- und Teilhabepaket und Kinderchancenportal

Artikel 1 Bundeskindergrundsicherungsgesetz § 21, 23, 24, 25, 26, 32, 37

Für die Teilhabe am soziokulturellen Leben sollen Leistungsberechtigte künftig 15 Euro pauschal als Geldleistung erhalten. Es gilt weiterhin eine Nachweispflicht, dass in diesem Rahmen Kosten entstanden sind. Die Teilhabe-Leistung wird auf Antrag gewährt. Der Kinderzusatzbetrag-Antrag gilt zugleich als Antrag auf den Teilhabebetrag von 15 Euro und die Geldleistung zur Ausstattung von Schüler*innen mit persönlichem Schulbedarf (Schulstarterpaket). Beim Schulstarterpaket gilt künftig keine Nachweispflicht mehr. Leistungen für Bildung und Teilhabe werden rückwirkend für die letzten zwölf Monate gezahlt. Die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets können auch weiterhin im SGB II und SGB XII bezogen werden. Nach § 21 Absatz 1 Satz 3 wird außerdem geregelt, dass bis zum 1. Januar 2029 ein Kinderchancenportal in Betrieb genommen werden soll.

SoVD-Bewertung: Der SoVD ist enttäuscht, dass bei der künftigen Kindergrundsicherung – auch bei den pauschalierbaren Teilen des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) – ein Antrag mit Nachweispflicht für den Teilhabebetrag nötig sein wird. Zwar begrüßen wir, dass die Teilhabeleistung künftig bis zur Einführung des Kinderchancenportals als Geldleistung erbracht und beim Schulstartpaket darüber hinaus die Nachweispflicht abgeschafft werden soll, jedoch wird weder auf die Antrags- noch im Falle der Teilhabeleistung auf die Nachweispflicht verzichtet. Zwar verweist der Referentenentwurf auf die Praxis in Berlin verwiesen, wo ein Nachweis über tatsächlich in Anspruch genommene Teilhabe auch nachgereicht werden kann und der Teilhabebetrag aber schon ausgezahlt wird, jedoch werden auch künftig die Kommunen nicht dazu verpflichtet, diesem Beispiel zu folgen.

Richtig und wichtig finden wir beim SoVD, dass die pauschalierbaren Teile des BuTs gesondert zum Kinderzusatzbetrag gewährt werden sollen. Wer also Anspruch auf den Zusatzbetrag hat, kann die 15 Euro Teilhabeleistung, unabhängig davon wie hoch der Zusatzbetrag ausfällt, in Anspruch nehmen. Das gilt auch für Kinder aus Wohngeldhaushalten und auch für Kinder und Jugendliche, die z.B. aufgrund von kurzfristig veränderten Einkommensverhältnissen Anspruch auf Bürgergeld- oder Grundsicherungsleistungen erhalten. Auch, dass die Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket rückwirkend für letzten 12 Monate gezahlt werden, begrüßen wir als SoVD ausdrücklich.

Aber die Antrags- und Nachweispflicht bedeutet für Familien ein erheblicher Mehraufwand, der ggf. gescheut wird, weil zeitliche Ressourcen fehlen. Die Folge: Die Unterdeckung des kindlichen Existenzminimums besteht fort und die aktuelle geringe Inanspruchnahme des BuTs kann somit nicht überwunden werden.

Im allgemeinen Begründungsteil des Referentenentwurfs (S. 51) ist außerdem festgehalten, dass der pauschale Teilhabebetrag als Geldleistung langfristig von einem Kinderchancenportal abgelöst werden soll, das die unbürokratische und digitale Buchung und Bezahlung von Aktivitäten zur sozialen und kulturellen Teilhabe ermöglicht“ (S. 51 RefE). Die Auszahlung des Teilhabebetrags soll bis Ende 2027 gelten, das Kinderchancenportal jedoch erst zu 2029 eingeführt werden. Hier wäre eine Klarstellung im Gesetzestext nötig, um einen lückenlosen Übergang sicherzustellen. Aus Sicht des SoVD ist zwar hilfreich, wenn Behörden transparenter auf vorhandene Teilhabemöglichkeiten vor Ort hinweisen, allerdings ist mit der Einführung und der Instandhaltung eines Kinderchancenportals auch ein immenser Verwaltungskostenaufwand verbunden, den es insbesondere vor dem Hintergrund abzuwägen gilt, dass nicht alle Familien und Kindern über digitale Endgeräte verfügen und damit de facto von Leistungsinanspruchnahme ausgeschlossen wären. Darüber hinaus müssten in einem solchen Portal, in dem alle Teilhabeleistungen unmittelbar gebucht werden sollen, ausnahmslose alle Teilhabemöglichkeiten vor Ort erfasst werden. Das scheint wenig praktikabel. Ein Chancenportal, das nicht nur ergänzend etabliert wird, bewertet der SoVD daher kritisch.
 

Kindergrundsicherungscheck

Artikel 1 Bundeskindergrundsicherungsgesetz, § 43 – 51

 Mit dem Kindergrundsicherungscheck soll der Familienservice eine elektronische Vorprüfung vornehmen können, sofern eine Einwilligung über den Datenabruf der teilnahmefähigen Personen erfolgt ist. Das Einverständnis gilt dann für zwei Jahre und kann jederzeit widerrufen werden. Ziel des Kindergrundsicherungschecks ist es, Familien besser beraten zu können. Es soll ermittelt werden, ob ein Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag bestehen könnte, um die Inanspruchnahme des Kinderzusatzbetrages im Vergleich zu den aktuellen Leistungen (Bürgergeld, Grundsicherung, Kinderzuschlag) zu verbessern. Es müssen nicht alle Familiengemeinschafts-Mitglieder in den Kindergrundsicherungscheck einwilligen, um ihn durchführen lassen zu können. In dem Fall werden nur die Daten von der Person, die eingewilligt hat, herangezogen. Die Ergebnisse des Kindergrundsicherungschecks werden im Antragsverfahren jedoch nicht berücksichtigt. Es handelt sich um eine Kann-Regelung, ein Rechtsanspruch auf den Kindergrundsicherungscheck besteht also nicht. Der Familienservice darf für den Kindergrundsicherungscheck nach der Einwilligung etwa Meldedaten beim Bundeszentralamt für Steuern, Einkommensdaten (z.B. beim Arbeitgeber, den Finanzverwaltung der Länder) oder auch bei der Bundesagentur für Arbeit in Hinblick auf Bürgergeld oder Arbeitslosengeld abrufen. Nach der Ergebnismitteilung soll die teilnehmende Person in verständlicher Form über das Ergebnis des Kindergrundsicherungschecks informiert und auf die begrenzte Aussagekraft des unverbindlichen Checks hingewiesen werden. Acht Wochen nach Mitteilung des Ergebnisses sind die Daten zu löschen. Der Kindergrundsicherungscheck soll in angemessen Abständen auf seine Wirkweise untersucht werden.

SoVD-Bewertung: Unsere Vorstellung von einer automatisierten Leistung war, dass nach Einwilligung zum Datenabruf die Behörden im Hintergrund tatsächlich so gut Hand in Hand arbeiten, dass die Nachweispflicht der Leistungsberechtigten gegen Null geht. Das würde in besonderem Maß Menschen entlasten, die trotz Erwerbstätigkeit auf den Kinderzusatzbetrag für ihr Kind oder ihre Kinder angewiesen sind. Gerade Alleinerziehenden fehlen meist zeitlichen Ressourcen, weil sie Erwerbs- und Sorgearbeit parallel und alleine stemmen müssen, mit der Folge, dass bestimmte Leistungen ggf. nicht abgerufen werden, insbesondere, wenn die Anspruchshöhe voraussichtlich gering ist. Die Folge für die Betroffenen und ihre Kinder sind verdeckte Armut.

Die Kindergrundsicherung wurde in den Medien als Paradigmenwechsel bezeichnet, der Staat habe von nun an eine Bringschuld. Mit dem Kindergrundsicherungscheck kann das aus Sicht des SoVD nicht gelingen. Die Behörden sind laut Referentenentwurf nicht dazu verpflichtet, ihn durchzuführen, haben dafür außerdem zwei Jahre Zeit (Einwilligungszeitraum für den Datenabruf) und außerdem dient er reinen Beratungszwecken. Die Ergebnisse dürfen für das Antragsverfahren nicht genutzt werden und werden nach acht Wochen gelöscht. Der Kindergrundsicherungscheck macht den Behörden also viel Arbeit, ohne dass daraus ein konkreter Nutzen für das weitere Antragsverfahren entsteht. Es ist fraglich, wie viel von der Möglichkeit künftig Gebrauch gemacht werden wird. Die Datenmenge soll so gering wie möglich gehalten werden, was vor dem Hintergrund der reinen Beratungszwecke zwar verständlich ist, aber die Aussagekraft des Checks auch enorm einschränkt.

Zwar begrüßt der SoVD, dass Anstrengungen unternommen wurden, um eine höhere Inanspruchnahme des Kinderzusatzbetrages zu erreichen im Vergleich zur Inanspruchnahme der aktuellen Leistungen, befindet den für die Behörden optionalen Kindergrundsicherungscheck dafür jedoch nur sehr begrenzt geeignet. Denkbar ist in Ergänzung auch ein Online-Rechner, den die Familien selbst nutzen können – wenn sie dem Datenzugriff nicht zustimmen wollen, um prüfen zu können, ob eine Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag bestehen könnte.  
 

Datenabruf bei Antragsstellung auf den Kinderzusatzbetrag

Artikel 1 § 29

Bei einem laufenden Antragsverfahren auf den Kinderzusatzbetrag wird der (ehemalige) Arbeitgeber auch künftig auf Verlangen Auskunft über das Arbeitsentgelt der Antragstellenden geben müssen. Dafür kann eine angemessene Frist zur Erfüllung der Pflicht gegeben werden. Alternativ kann auch das Verfahren nach § 108c Absatz 1 SGB IV zur elektronischen Abfrage und Übermittlung von Entgeltbescheinigungsdaten genutzt werden. Eine Einwilligung seitens der Antragstellenden ist für diesen Datenabruf nicht erforderlich. Jedoch können damit nur solche Einkommen erfasst werden, die sozialabgabepflichtig sind.

SoVD-Bewertung: Die Regelung zur Datenabfrage über die Entgeltbescheinigungsdaten ist eine Kann-Regelung. Die Behörden sind also nicht verpflichtet, diese Daten abzurufen, sondern können auf papiergebundene Bescheinigungsverfahren ausweichen. Ein Anspruch darauf besteht seitens der Antragstellenden also nicht. Stattdessen gelten die Mitwirkungspflichten (§ 28 Absatz 1 sowie § 60 Absatz I SGB I) der Familiengemeinschafts-Mitglieder. Das heißt konkret: die Nachweispflicht bleibt weiterhin bestehen und die Entgeltbescheinigungen müssen mitunter durch die Antragsstellenden weiterhin selbst erbracht werden. Der SoVD fordert, dass hier nachgeschärft wird und der Bringschuld eine höhere Bedeutung beigemessen wird. Auch wenn einige Behörde von dieser Kann-Regelung vielleicht Gebrauch machen werden, haben die Antragstellenden keinen Anspruch darauf. Es muss aber sichergestellt werden, dass die Familien spürbar in Hinsicht auf ihre Nachweispflicht entlastet werden.

Im besonderen Teil des Referentenentwurfs werden die Vorzüge des Datenabrufs ausführlich dargelegt: der Verwaltungsaufwand wäre für die Behörden künftig deutlich geringer, weil die Daten aus den Einkommensbescheinigungen nicht mehr händisch in das IT-System übertragen werden müssen. Die durch das Abrufverfahren der Deutschen Rentenversicherung übermittelten Entgeltdaten hätten eine viel höhere Datenqualität als händisch ausgefüllte Arbeitgeberbescheinigungen. Das sei auch im Interesse der Familien, weil der Datenabruf für die Familien keinen zusätzlichen Aufwand bedeuten würde und die Datenübertragung der Deutschen Rentenversicherung deutlich datenschutzfreundlicher wäre, da nur tatsächlich benötigte Daten übertragen würden.

Ein weiterer Grund für den Datenabruf: Arbeitgeber würden ebenfalls deutlich entlastet. Sofern es technisch noch nicht möglich ist, den Datenabruf verpflichtend vorzuschreiben, so sollte aus Sicht des SoVD doch im Referentenentwurf bzw. Gesetzentwurf ein klarer Zeitplan festgeschrieben werden, bis wann der Datenabruf zu sozialabgabepflichtigen Einkommen ausnahmslos funktionieren muss, um die Gefahr zu vermeiden, dass die Inanspruchnahme des Kinderzusatzbetrags gering bleibt.
 

Bewilligung

Artikel 1 Bundeskindergrundsicherungsgesetz, § 16, 17, 18; Artikel 4, SGB II-neu § 7 Absatz 2 Satz 3; SGB XII § 39

Über den Kinderzusatzbetrag ist für sechs Monate zu entscheiden. Der Bewilligungszeitraum startet mit dem Antrag, frühestens jedoch nach Auslaufen eines laufenden Bewilligungszeitraums. Die Bewilligung erfolgt abschließend, das heißt sich verändernde Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum können nicht mehr berücksichtigt werden, es sei denn die Konstellation der Familiengemeinschaft oder die Höhe des Kinderzusatzbetrages ändern sich. Bei der Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens ist der Durchschnitt des Einkommens des Kindes und der Eltern aus den letzten sechs Monate vor dem Bewilligungszeitraum (Bemessungszeitraum) maßgeblich.

SoVD-Bewertung: Ein einheitlicher Bewilligungszeitraum von sechs Monaten entlastet die Verwaltung. Die abschließende Bewilligung für sechs Monate bewirkt jedoch, dass die Einkommensänderungen zugunsten oder zulasten der Berechtigten nicht berücksichtigt werden können. Die Folge ist, dass Familien bei einer Unterdeckung Leistungen nach dem SGB II und SGB XII beantragen sollen, weil in diesem Fall der Familienservice nicht mehr zuständig ist. Für den SoVD war der Anspruch an die neue Kindergrundsicherung möglichst nur noch eine zuständige Stelle. Wir fordern daher, dass bei verschlechterten Einkommensverhältnissen in einer Familie im Rahmen des Bewilligungszeitraums, ein Antrag auf erneute Prüfung gestellt werden kann – nämlich beim Familienservice. Der Aufwand für Familien ist möglichst gering zu halten, daher ist das Hin und Her zwischen den Behörden aus Sicht des SoVD nicht hinnehmbar und auf ein absolut notwendiges Minimum zu reduzieren.
 

Übergangsregelungen

Artikel 1 Bundeskindergrundsicherungsgesetz § 55, 56

In Artikel 1 Bundeskindergrundsicherungsgesetz § 55 sollen die Übergangsregelungen für Kinder geregelt werden, die eine Schlechterstellung in der neuen Kindergrundsicherung verhindert. Das betrifft 14 bis 17-Jährige sowie 18- bis U-25-Jährige, deren Bewilligungszeitraum über den 1. Januar 2025 hinausläuft. Sie sollen für die Dauer des Bewilligungszeitraums einen bestimmten Betrag erhalten, um eine Schlechterstellung zu vermeiden.

Für Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres gilt für den Kinderzusatzbetrag mindestens ein Betrag in Höhe des Kinderzuschlages, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für den Kinderzuschlag erfüllt wären. Wenn die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt würden, dann soll mindestens ein Kinderzusatzbetrag ausgezahlt werden, der der Höhe der Regelbedarfsstufen 5 oder 6 (Rechtsgrundlage 31.12.24) und dem Sofortzuschlag entspricht. Für die 14- bis 17-Jährige und 18- bis U-25-Jährige würde entsprechend die Regelbedarfsstufe 4 bzw. 3 (Stand 2024) herangezogen werden. Auf diese Weise sollen alle möglichen Schlechterstellung durch die Einführung der Kindergrundsicherung vermieden werden.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt zwar, dass eine finanzielle Schlechterstellung für Leistungsberechtigten zur Einführung der Kindergrundsicherung ausgeschlossen werden soll. Die – nicht unkomplizierten - Übergangsregelungen scheinen geeignet, um dieses Ziel zu erreichen, erfordern jedoch auch einen erheblichen Verwaltungsmehraufwand bei der jeweiligen Prüfung. Eine armutsfeste Kindergrundsicherung, die mit, im Vergleich zum bestehenden System, deutlichen Leistungsverbesserungen für alle Familien einhergehen würde, würden die komplizierten Übergangsregelungen jedoch überflüssig machen. Wir bestärken daher hier noch einmal unsere Forderungen nach einer sauberen Neudefinition des kindlichen Existenzminimums und entsprechenden Leistungsverbesserungen für die Familien.
 

Zuständigkeit

Artikel 1 Bundeskindergrundsicherungsgesetz § 23, 23a, 25; Artikel 4 § 7 Absatz 2 Satz 3 und § 37a

Für die Administration der Kindergrundsicherung (Kindergarantiebetrag und Kinderzusatzbetrag) wird die Bundesagentur für Arbeit zuständig sein, konkret der sogenannte „Familienservice“, in deren Bezirk die Berechtigten ihren Wohnsitz haben. Der Bund trägt die Kosten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist gegenüber der Bundesagentur für Arbeit bzw. dem Familienservice weisungsbefugt. Beim Bildungs- und Teilhabepaket liegt die Zuständigkeit für Teile des BuTs ebenfalls beim Familienservice – das gilt vor allem für die pauschalen Teilhabeleistungen und das Schulstarterpaket – mit Ausnahme von Wohngeld-Familien, da sind die Länder zuständig. Für die weiteren Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets, wie etwa für Transportkosten zur Schule oder Mittel für die Lernförderung von Schüler*innen sind die Länder zuständig, die jeweilig zuständige Behörde selbst bestimmen können.

Sollten die Bedarfe des Kindes durch die bewilligten Kindergrundsicherungsleistungen nicht gedeckt sein, weil Mehr- oder Sonderbedarfe bestehen oder weil das Einkommen der Eltern sich im Bewilligungszeitraum verändert hat, so bestimmt Art. 4 § 37a Absatz 2 SGB II-neu, dass in einem separaten Antrag die Leistungsberechtigung nach dem SGB II gesondert geprüft und auch gewährt werden kann. Außerdem regelt Artikel 4 § 7 Absatz 2 Satz 3, dass Kinder bis 15 Jahren Leistungen nach dem SGB II erhalten können – unabhängig davon ob ihre Eltern eine Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II bilden oder nicht.

SoVD-Bewertung: Auch hier gilt für den SoVD: Je weniger Anlaufstellen für die Familien, desto größer die Entlastungswirkung. Und das ist die Erwartung des SoVD an eine gute Kindergrundsicherung, dass Familien spürbar entlastet werden und es künftig für alle finanziellen Belange von Familien nur noch einen Ansprechpartner gibt. Stattdessen ergibt sich beim Bildungs- und Teilhabepaket ein Sammelsurium an möglichen Anlaufstellen für die leistungsberechtigten Personen, die nicht nur zwischen den einzelnen Bildungs- und Teilhabeleistungen sondern auch zwischen den Ländern divergieren können, da die Länder bestimmen, welche Behörde mit der Durchführung beauftragt wird. Bei Mehr- und Sonderbedarfen müssen sich die Familien an das Sozialamt oder das Jobcenter wenden – das gleiche gilt, wenn sich im Bewilligungszeitraum der Kindergrundsicherung die Einkommensverhältnisse der Eltern so stark ändern, dass der Bedarf nicht mehr gedeckt ist.

Das halten wir beim SoVD für höchst problematisch, weil damit ein großer Mehraufwand für die Familien einhergeht und es bei den Verwaltungen zu Schnittstellenproblemen führen kann. Will man aber an dieser Regelung festhalten, so befürwortet der SoVD, dass in § 7 Absatz 2 Satz 3 sichergestellt ist, dass Kinder bis 15 Jahren bei einer zusätzlichen Anspruchsberechtigung nicht permanent zwischen den Rechtkreisen SGB II und SGB XII wechseln, nur weil ihre Eltern wegen sich verändernden Einkommensverhältnissen nicht permanent Leistungen nach dem SGB II erhalten. Außerdem halten wir es für sachgemäß, dass ein Antrag im SGB II gestellt werden kann, wenn der Familienservice bescheinigt, dass noch nicht abschließend über den Antrag entscheiden kann. So kann sichergestellt werden, dass bedürftige Familien auch kurzfristig über eine andere Stelle zur Existenzsicherung ihrer Kinder Gelder erhalten können.
 

Kindergeld-Übertrag

SGB XII § 82, SGB II § 11

Artikel 7 § 82 Absatz 1 Satz 4 SGB II-neu legt fest, dass der Kindergarantiebetrag zur Bedarfssicherung immer nur beim Kind berücksichtigt werden darf. Im SGB XII-alt galt bisher: Wenn das Kindergeld wegen anderer Einkünfte (z.B. Unterhalt) den Bedarf des Kindes übersteigt, darf dieses aktuell bei den Eltern angerechnet werden. Das gilt aktuell auch im SGB II.

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt, dass künftig das Kindergeld nicht mehr zweckentfremdet werden soll. Diese Anrechnungsmethodik führt aktuell nämlich dazu, dass höhere Unterhaltszahlungen meist ins Leere laufen, sobald der betreuende Elternteil Bürgergeld-Leistungen in Anspruch nehmen muss. Denn wenn die Unterhaltszahlungen zusammen mit dem Kindergeld eine höhere Summe als den Bedarf des Kindes nach dem Sozialrecht ergeben, wird das Kindergeld einfach bei dem Bürgergeld-beziehenden Elternteil angerechnet. Ungleichbehandlungen von Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII darf es allerdings nicht geben. Es muss im SGB II ebenfalls klar geregelt sein, dass der sogenannte Kindergeld-Übertrag keine Anwendung mehr findet – auch mit dem Ziel, dass die verbesserte Anrechnungsregelung für Unterhaltsleistungen und Unterhaltsvorschuss nicht ins Leere laufen.
 

Ausbildungsförderung

Zu Artikel 1 Bundeskindergrundsicherungsgesetz, § 9

 Der vorliegende Referentenentwurf sieht vor, dass junge Menschen, die Kindergrundsicherung beziehen, Zugang zu den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Ausbildung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) haben sollen. Darüber hinaus wird geregelt, dass BAföG-Leistungen, die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) und das Ausbildungsgeld vorrangige Leistungen gegenüber dem Zusatzbetrag sind. Auf den Garantiebetrag wirken sie sich jedoch nicht leistungsmindernd aus. Zusätzlich wird geregelt, dass, so lange das Amt für Ausbildungsförderung noch nicht über den BAföG-Antrag entschieden hat, ein Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag besteht.

SoVD-Bewertung: Die Regelung, dass junge Menschen, die Kindergrundsicherung beziehen, Zugang zu den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Ausbildung nach dem SGB III haben sollen, ergibt sich dadurch, dass der Kinderzusatzbetrag junge Menschen aus dem SGB II-Bezug holen soll. Das wird zwar in den meisten Fällen erreicht, jedoch nicht konsequent, wenn sich beispielsweise im Bewilligungszeitraum Änderungen bei den Eltern ergeben. Es ist jedoch bereits von der Bundesregierung geplant, dass zukünftig alle Unter-25-Jährigen von der Bundesagentur für Arbeit betreut werden und ihnen somit auch alle Leistungen nach dem SGB III zustehen sollen. Diese Regelung begrüßt der SoVD. Denn aus unserer Sicht findet die bestmögliche Betreuung (junger) Arbeitsloser bei den Agenturen für Arbeit statt. Wichtig ist jedoch, dass für diese neue Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit mehr Geld mittels eines auskömmlichen Bundeszuschusses zur Verfügung gestellt und diese Regelung zeitnah umgesetzt wird. Denn auch bei der Ausbildungsförderung gilt, dass uns jedes Kind bzw. jeder junge Mensch gleich viel wert sein muss, egal aus welchem Haushalt die Person kommt.

Sehr zu begrüßen ist, dass bei noch nicht bewilligtem BAföG-Antrag ein Anspruch auf den Kinderzusatzbetrag besteht. So wird sichergestellt, dass es hier keine finanzielle Lücke gibt.
 

Mehrbedarfsregelung

Artikel 4§ 21 Absatz 7 SGB II-neu, Artikel 7 § 22 und § 30 Absatz 7 SGB XII-neu

Mit Einführung der Kindergrundsicherung sollen Kinder mit dem Kinderzusatzbetrag auch eine Wohnkostenpauschale erhalten, wie er sich auf dem jeweils aktuellen Existenzminimumbericht der Bundesregierung ergibt. Mehrbedarfe, z.B. bei einer dezentralen Erzeugung von Warmwasser, werden im Rahmen der Kindergrundsicherung jedoch nicht gewährt. Es besteht dann Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII. In § 21 Absatz 7 wird geregelt, dass die Aufwendungen aller im Haushalt lebenden Personen Berücksichtigung finden. Der Mehrbedarf soll künftig für jede im Haushalt lebende Person jeweils 2,3 Prozent der für sie geltenden Regelbedarfsstufe betragen.

SoVD-Bewertung: Für Kinder werden in aktuellem Recht bei Kindern in den verschiedenen Altersstufen nur ein Mehrbedarf von 0,8 bis 1,4 Prozent gewährt. Der SoVD begrüßt ausdrücklich, dass die 2,3 Prozent Mehrbedarfs-Anerkennung nun für alle Haushaltsmitglieder, unabhängig vom Alter, gewährt werden soll und hält die Regelung auch für sachgemäß. Denn Familien mit Kindern haben einen deutlich erhöhten Warmwasserverbrauch und diesem Umstand wird mit der Neuregelung Rechnung getragen.
 

Vertikale Berechnungsmethode im SGB II

Zu Artikel 4, SGB II-neu, § 9

Künftig soll von der sogenannten horizontalen Berechnungsmethode der Bedarfe einer Bedarfsgemeinschaft auf die vertikale Berechnung umgestellt werden. Das heißt konkret: Für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft wird zunächst das eigene Einkommen zur Bedarfsdeckung herangezogen; nur überschüssiges Einkommen, das nicht zur Bedarfsdeckung benötigt wird, kann beim Partner oder der Partnerin angerechnet werden.

SoVD-Bewertung: Im Status Quo (horizontale Einkommensverteilung) wird im SGB II das zusammengerechnete Einkommen aller Bedarfsgemeinschafts-Mitglieder nach dem jeweiligen Bedarfsanteil auf die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt. Das hat zur Folge, dass bei veränderten Einkommensverhältnissen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft alles neu berechnet werden muss – mitsamt aufwändiger Erstattungsverfahren. Beim SoVD fordern wir seit vielen Jahren, dass die vertikale Berechnungsmethodik aus dem SGB XII in das SGB II übertragen werden muss. Daher begrüßen wir sehr, dass dies nun erfolgen soll.

Wir würden sogar darüber hinausgehen: Auch die vertikale Berechnung der Bedarfe hat auf folgende Problematik keine Auswirkung. Verdient ein (Ehe)Partner genug Geld, um die Bedarfe für beide abzusichern, besteht kein Anspruch auf Bürgergeld-Leistungen. Damit entfällt für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, also auch für diejenigen ohne Einkommen und das sind häufiger Frauen, jegliche Möglichkeit, von den Förderinstrumenten zur Integration in den Arbeitsmarkt zu profitieren. Qualifizierung und Maßnahmen für Aus- und Weiterbildung sind aber von entscheidender Bedeutung, wenn der Weg in den Arbeitsmarkt alleine nicht bewältigt werden kann. Wir fordern daher, die Förderinstrumente zur Qualifizierung weiter zu öffnen. Künftig soll die Behörde unabhängig entscheiden, ob ein individueller Förderbedarf zur Qualifizierung besteht.

Berlin, den 6. September 2023

DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik